Unmenschlichkeit und Ausbeutung im Hochgebirgstourismus
Der tragische Fall des kürzlich am K2 verstorbenen pakistanischen Bergarbeiters Mohammad Hassan beleuchtet die ungerechten und prekären Arbeitsbedingungen der sogenannten Sherpas in den Hochgebirgen Südasiens sowie ihre Ausbeutung durch verschiedene Akteure der Tourismusindustrie.
Rekordsaison am Mount Everest – die nepalesische Regierung hat in dieser Saison mehr als 454 Genehmigungen zur Besteigung des legendären Berges ausgestellt. Damit gehen nicht nur Probleme wie eine immer drastischere Umweltverschmutzung einher, sondern auch erhebliche Risiken durch Überfüllung und fahrlässige Fehler unerfahrener Bergsteiger*innen. Bisher sind bereits mindestens 17 Tote in dieser Saison zu beklagen.
Auch am zweithöchsten Gipfel der Welt, dem K2 in Pakistan, gibt es immer wieder Todesopfer zu beklagen. Die Geschichte des kürzlich verunglückten 35-jährigen Bergträgers Mohammad Hassan lässt einen dabei an der Menschlichkeit der dort anwesenden Bergsteiger*innen zweifeln. Von einem Kameramann gemachte Drohnenaufnahmen zeigen rund 70 Menschen, die an dem Sterbenden einfach vorbeigegangen sind. „Er ist dort elendig verreckt. Es hätte nur drei, vier Leute gebraucht, ihn runterzubringen,“ wird der Bergsteiger Wilhelm Steindl zitiert, der diesen Vorfall später auf den Drohnenaufnahmen sichtete.
Die Grausamkeit, ein Menschenleben wortwörtlich links liegen zu lassen und dem „Gipfelrausch“ unterzuordnen, ist dabei vielleicht nur das bisher schlimmste und traurigste Symptom der jahrzehntelangen Ausbeutung der lokalen Arbeiter – den sogenannten Sherpas – ohne deren Hilfe wohl kaum jemand die höchsten Gipfel der Welt erklimmen könnte.
Ein Lastenträger auf dem Weg in das Mount Everest Basecamp
Seit den Anfängen des internationalen Bergtourismus in Südasien werden viele Menschen aus der einheimischen Bergbevölkerung als Träger beschäftigt. Sie verrichten die beschwerlichsten und riskantesten Arbeiten am Berg. Hunderte solcher Arbeiter sind dabei im Himalaya und in Südasien ums Leben gekommen, während ihre Familien finanziell nur sehr eingeschränkt entschädigt werden und keinerlei Unterstützung dabei erhalten, ihre Traumata zu überwinden. Dies steht im scharfen Kontrast zu den Einnahmen, die Regierungen und private Touranbieter von den meist internationalen Touristen erhalten. Allein die Genehmigung zur Besteigung des Mount Everest kostet zum Beispiel 11000 US-Dollar pro Person.
Die Arbeit in den Bergen hat zwar vielen geholfen, der Armut zu entkommen, aber sie hat auch erhebliches Leid und Traumata für die Arbeitenden und ihre abgelegenen Berggemeinden zur Folge gehabt. Doch Alternativen gibt es kaum. Dies schildert auch ein nepalesischer Bergarbeiter am Mount Everest:
„Unsere Arbeit ist meistens beängstigend. Aber wir müssen das tun, sonst gibt es nichts – keinen Job, keinen Beruf. Ohne das zu tun, gibt es nichts, wir müssen es tun. Unsere Familien haben immer Angst vor dem Berg. Werde ich zurückkehren zu meiner Familie oder nicht? Das ist immer eine Frage, die uns beschäftigt.“
Auch das Gefühl, „im Schatten“ zu arbeiten, ist under den lokalen Bergarbeitern weit verbreitet. Sie fühlen sich nicht als gleichberechtigte Teammitglieder anerkannt, insbesondere in der Zeit nach der Bergbesteigung, wenn die Arbeiter einfach „vergessen“ werden, wie zwei Sherpas beschreiben:
„Die Kunden versuchen, sich selbst in Szene zu setzen, als ob sie alles getan und möglich gemacht hätten. Aber es gibt immer Sherpas, die die Leinen befestigen, Lasten zu den Hochlagern tragen, alles vorbereiten und die Kunden glücklich machen, damit sie sich auf den Gipfel konzentrieren können, und später vergessen sie diese Sherpas.“
„Westler kommen hierher und reden über die Besteigung von 8000ern, sie sagen nichts über die Sherpas. Sie sagen: „Ich habe es geschafft, ich bin stark.“ Ich habe mir zum Beispiel einen Vortrag von jemandem aus Spanien angesehen, wo sie nichts über den Sherpa sagen, außer einmal „Oh, ich kann dieses Mal nicht auf den Gipfel gehen, weil mein Sherpa nicht in der Lage war zu gehen, weil er nicht ausgebildet war. Ich finde das so traurig, denn wenn sie Erfolg haben, sagen sie: „Ja, das war nur ich, ich habe den Gipfel erreicht,“ aber wenn der Erfolg ausbleibt, ist die Entschuldigung der Sherpa, der nicht erfahren genug war oder keine guten Handschuhe hatte oder so. Das ist so traurig.“
Diese Zitate aus einer letztjährig veröffentlichten Studie von Jase Wilson und Katherine Dashper im „Journal of Sustainable Tourism“ machen auch deutlich, dass die finanziellen Vorteile von rund 5000 US-Dollar für eine acht- bis zehnwöchige Saison in Nepal zwar beträchtlich sind, aber die vielen Gefahren, beschwerlichen Aufgaben und Ignoranz vor allem westlicher Bergsteiger*innen nicht kompensieren können. Verbesserungsmöglichkeiten gibt es dabei viele und werden von den Sherpas selbst eingefordert, wie zum Beispiel in der Studie von Jase Wilson und Katherine Dashper. Dazu gehören der Wunsch nach besseren und sichereren Arbeitsbedingungen, mehr Training und Investitionen in ihre Ausbildung und ihr eigenes Wohlergehen durch die Tourismusunternehmen, mehr Anerkennung von Seiten der Kunden für ihre Beiträge, Rentenleistungen und umfassende Versicherungen für Unfälle mit Todesfolge und Verletzungen.
Aufstieg zum Mount Everest
Doch bis heute müssen die Sherpas vor allem eines tun – ihre internationalen Kunden „glücklich machen.“ Dass sie dabei emotionalen Traumata wie dem Verlust von Freunden und Familie ausgesetzt sind und beträchtliche Risiken durch Abenteuer-Touristen eingehen, deren teils mangelnde Vorbereitung ihr Leben gefährdet, wird dabei weder von der internationalen Tourismusindustrie noch von den eigenen Regierungen beachtet.
Und auch die meisten Bergsteiger*innen vergessen die Sherpas, ohne die sie ihr Ziel nie erreichen könnten. Ohne sie in ihren „Heldengeschichten“ zu erwähnen, profitieren westliche Bergsteiger und Bergsteigerinnen oft finanziell und sozial von ihrer eigenen überhöhten, fast mythologischen Darstellung als „Everesteer“ und „8000er Bezwinger.“
So wie zum Beispiel die norwegische Bergsteigerin Kristin Harila, die sich damit feiern lässt, in 92 Tagen alle Achttausender bestiegen zu haben. Dass sie dabei zusammen mit acht Sherpas unterwegs war und wie diese heißen, ist dagegen kaum zu vernehmen. Sie war auch am K2, während Mohammad Hassan im Sterben lag. Gegen sie gibt es nun Vorwürfe der unterlassenen Hilfeleistung – sie und ihr Team seien einfach über den Sterbenden hinweggestiegen. Doch das Feiern ihres Rekordes auf dem Gipfel und später im Basislager ließ sie sich vom Tod des Sherpas nicht nehmen. Erst fast zwei Wochen später, als immer mehr Vorwürfe gegen sie laut wurden, veröffentlichte sie ein Statement, in dem sie sich verteidigt.
Dieses Verhalten ist ein weiterer, trauriger Beleg dafür, wie einheimische Bergarbeiter in Südasien oft unsichtbar gemacht werden, als entbehrlich gelten und nicht die gleiche Wertschätzung wie die privilegierten, internationalen Bergsteigenden erfahren. Mohammad Hassan hat dieses koloniale, rassistische Menschenbild im internationalen Hochgebirgstourismus vielleicht das Leben gekostet.
Quellen: Jase Wilson & Katherine Dashper: „In the shadow of the mountain: the crisis of precarious livelihoods in high altitude mountaineering tourism“. JOURNAL OF SUSTAINABLE TOURISM, 2022.
Weitere Quellen: ntv.de, aljazeera.com