Fünf Jahre, Fünf Gesichter
Hinter jeder Projektförderung steckt ein Gesicht. Genauer gesagt, viele individuelle Gesichter von vielen einzigartigen Menschen, die durch die Arbeit unserer lokalen Projektpartner ihr Leben in die eigene Hand nehmen konnten. Zu unserem fünfjährigen Jubiläum möchten wir euch fünf dieser Gesichter und die Menschen dahinter näher vorstellen.
Helens Geschichte (Projektpartner: Shishu Mandir)
Seit ihrer Kindheit hatte es Helen nicht leicht. Ihr Vater war Alkoholiker und wenn er sich nicht gerade mit seiner Frau stritt, ließ er seine Wut an den beiden Töchtern aus. Nachdem die Mutter allein geflohen war, nahm eine Bekannte Helen bei sich auf. Unter dem Vorwand, ihr zu helfen, zwang sie Helen dazu, auf der Straße zu betteln. Jeden Tag musste sie Geld nach Hause bringen oder anderenfalls Schläge ertragen. Mit 16 Jahren wurde Helen dann in eine Ehe gezwungen. Auch ihr Ehemann, mit dem sie zwei Kinder bekam, war Alkoholiker. Ihr Alltag war weiterhin von Gewalt und Unterdrückung geprägt.
Doch eines Tages änderte sich ihr Schicksal. Helens Tante meldete sie bei Shishu Mandir („Tempel der Kinder“) an, wo sie einen sicheren Zufluchtsort und ein Unterstützungssystem fand. Schließlich wurde sie dazu ermutigt, in der Shishu Mandir-Fahrschule das Autofahren zu lernen.
Heute ist Helen eine der ersten fünf Frauen, die eine elektrische Autorikscha von Shishu Mandir erhalten haben. Taxifahrerinnen sind in Indien noch immer eine Seltenheit. Manchmal wird Helen von Verkehrspolizisten angehalten und um ein Selfie gebeten. Ihre vor allem weiblichen Fahrgäste vertrauen ihr und fühlen sich bei ihr sicher, sagt sie. Und das wichtigste: Zum ersten Mal bestimmt Helen nun über ihr eigenes Leben. Sie hat sich von ihrem Mann getrennt und verdient ein regelmäßiges Einkommen, mit dem sie für sich und ihre Kinder sorgen kann.
Richards Geschichte (Projektpartner: Stiftung Stay)
Richard Kasolo aus Uganda ist guter Dinge, dass die Maisernte auf seinem 0,5 Hektar großen Feld diesmal reicher ausfällt als früher. Seit einigen Monaten ist er Teilnehmer am Programm „Stay Seed“, das Kleinbäuer*innen dabei hilft, ihr Einkommen zu steigern. Die Teilnehmer*innen lernen dort, wie sie mit vergleichsweise einfachen Maßnahmen die Erträge auf ihren Feldern erhöhen können. Dazu gehören etwa optimale Abstände bei der Pflanzung oder bessere Techniken beim Ernten, Dreschen und Trocknen – und Unterstützung beim Verkauf. Als Teil einer Gemeinschaft von rund 50 bäuerlichen Familien hat Richard nun eine verbesserte Verhandlungs- und Marktposition.
Stay Seed ist ein Einkommensprogramm der Stuttgarter Stiftung Stay und ihrer ugandischen Partnerorganisationen. Der Ansatz von Stay Seed denkt die finanzielle Nachhaltigkeit des Programms gleich mit: Richard zahlt mit einem Teil seiner Erlöse aus dem Maisverkauf eine Ausbildungsgebühr und unterstützt damit die Teilnahme weiterer Kleinbäuer*innen am Programm. Für ihn und seine siebenköpfige Familie hat sich die Teilnahme bereits bezahlt gemacht. Er kann es sich nun leisten, seine Kinder in die Schule zu schicken und gleichzeitig Teile seines Einkommens ansparen, um zum Beispiel Reparaturen am Haus vorzunehmen oder unerwartete Ausgaben zu decken.
Kumars Geschichte (Projektpartner: International Justice Mission)
Verwaist und völlig auf sich allein gestellt, geriet Kumar aus Indien mit sieben Jahren in die Hände eines skrupellosen Ziegeleibesitzers, der ihn versklavte. Jahrelang wurde er dazu gezwungen, von morgens bis abends schwere Lehmziegel zu schleppen. Seit seiner Befreiung durch die lokalen Behörden und die Menschenrechtsorganisation International Justice Mission (IJM) hat er mit großem Ehrgeiz die Schule besucht und später Soziale Arbeit studiert, um anderen von Sklaverei betroffenen Menschen zu helfen. Als Sozialarbeiter bei IJM in Chennai steht der heute 29-Jährige für ihre Rechte ein.
„Weil mich die Regierung und IJM gerettet haben, kann ich heute die Luft der Freiheit atmen. Ich weiß, dass es viele andere mit meinem Schicksal gibt. Ich kenne ihre Situation und möchte ihnen helfen. Niemand soll so leiden müssen wie ich. Mir wurde klar, dass ich schutzbedürftigen Gemeinschaften als Sozialarbeiter am besten helfen könnte. Deshalb begann ich meine Ausbildung. Ich möchte etwas in unserer Gesellschaft verändern und dazu beitragen, dass Menschen nie mehr in Schuldknechtschaft geraten und versklavt werden,“ erzählt Kumar heute.
Pramilas Geschichte (Projektpartner: amar khamar)
Pramila ist eine erfahrene Kleinbäuerin aus den indischen Sundarbans, dem größten Mangrovenwald der Erde. Vor sechs Jahren lernte sie in einem landwirtschaftlichen Trainingszentrum, wie sie ihre traditionellen Anbaumethoden – ohne die Verwendung genetisch modifizierten Saatguts – verbessern kann. Durch das Lernzentrum kam Pramila auch mit amar khamar („meine Farm“) in Kontakt. Seit 2018 verkauft sie ökologisch und nachhaltig produzierte, indigene Reissorten über das Online-Portal des Sozialunternehmens und verdient nun deutlich mehr als zuvor. Damit kann sie die Ausbildung ihrer beiden Söhne unterstützen.
Mittlerweile bestens vertraut mit den Prozessen von amar khamar, hilft Pramila dabei, andere Bäuerinnen in den Sundarbans in nachhaltigen Anbaumethoden – ohne schädliche Dünger, Herbizide oder Pestizide – zu trainieren. Dadurch können sie ihre Ernte ebenfalls zu einem fairen Preis über amar khamar verkaufen und ihr Einkommen steigern. Die von ihr betreute Gruppe pflanzt neben einheimischen, an das lokale Klima gut angepasste Reissorten auch Linsen und Gewürze an. Gemeinsam verarbeiten sie einen Teil der Produkte weiter und stellen zum Beispiel von Hand geschälten Reis her.
Pramila ist über die letzten Jahre ein essenzieller Teil des amar khamar Teams geworden. Erst kürzlich war sie in Kolkata, um besondere Gerichte mit seltenen Zutaten aus ihrer Region für ein kulinarisches Pop-Up vorzustellen. Sie ist sehr stolz darauf zu sehen, dass ihr Essen so gut ankommt und zu hören, wo ihre Produkte überall in Indien gegessen werden.
Boubous Geschichte (Projektpartner: Kabakoo Academies)
Mai 2020 – Boubou aus Mali ist gerade 20 Jahre alt geworden. Nachdem er die Schule schon vor längerer Zeit abgebrochen hatte, drängt ihn sein großer Bruder dazu, sich auf die gefährliche Flüchtlingsroute nach Europa zu begeben, um der Familie nicht weiter zur Last zu fallen. Aber zu diesem Zeitpunkt hat Boubou gerade begonnen, regelmäßig an den Kabakoo Academies in Bamako zu lernen. Dort hat er eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten gefunden, die zusammen an Projekten in Bereichen wie Mikroelektronik, 3D-Druck und Landwirtschaft arbeiten. Dinge, für die er sich schon immer interessiert hatte, aber nicht wusste, wo und wie er anfangen sollte.
Boubou wollte bleiben, lernen und sein Leben selbst in die Hand nehmen. Yanick, einer der Mitbegründer von Kabakoo, sprach mit seiner Familie und bat sie, Boubou eineinhalb Jahre Zeit zu geben. Boubou arbeitete daraufhin noch härter. Zusammen mit anderen Lernenden baute er einen Bio-Garten an und vertiefte sein Wissen über Elektronik und den Umgang mit Computern. Im organischen Gemüsegarten experimentierte er mit Mikrocontrollern.
Ein Jahr später entstand aus diesen Experimenten Boubous eigenes Agrotech-Unternehmen „Séné Yiriwa“, das sich auf automatisierte Bewässerungslösungen spezialisiert. Boubou setzt seine bei Kabakoo erworbenen Fähigkeiten nun täglich ein, um Landwirten in ganz Mali zu helfen, ihre Produktivität mit Hilfe moderner Technik zu steigern. Von einer Last für seine Familie hat er sich in einen selbstbewussten jungen Mann verwandelt. Aus einem „Schulabbrecher“ wurde ein Experte für Agrartechnik, der anderen jungen Menschen eine Ausbildung und Beschäftigung ermöglicht.
Diese fünf Gesichter und fünf Geschichten stehen stellvertretend für die großartige Arbeit unserer mittlerweile 18 Projektpartner auf der ganzen Welt. Damit wir auch in den nächsten fünf Jahren solche tollen Erfolgsgeschichten erzählen können, setzen wir auf eure Unterstützung! Diese zählt zu unserem fünfjährigen Jubiläum gleich zweifach, denn jede eingegangene Spende wird von unserer Stifterin verdoppelt!