Integrierte Hilfe zur Selbsthilfe in Äthiopien – Projektbesuch in Nono Benja
Mitte Januar machte sich Patrick Knodel auf den Weg nach Addis Abeba, der Hauptstadt von Äthiopien. Von dort startete sein Projektbesuch bei der Organisation „Menschen für Menschen“ (MfM), die von der ChanceMaker Foundation bereits seit 2017 unterstützt wird. Begleitet wurde er von Dr. Sebastian Brandis, der als Vorstand der Organisation die Bereiche Kommunikation, Fundraising und Entwicklungszusammenarbeit verantwortet. Im Blogbeitrag lässt Patrick die Reise Revue passieren.
Nachdem die ChanceMaker Foundation in den vergangenen fünf Jahren zu integrierten ländlichen Entwicklungsprojekten in der äthiopischen Region Wogdi beigetragen hat, liegt unser Fokus seit Ende 2020 auf der ganzheitlichen Entwicklung im 200 Kilometer von der Hauptstadt entfernten Bezirk Nono Benja. Und genau dort sollte es für uns hingehen.
Für die Anreise in die Projektregion gab es einiges zu beachten, denn obwohl der 2020 ausgebrochene Tigray-Konflikt offiziell beendet ist, gibt es im Gebiet zwischen der Hauptstadt und Nono Benja noch immer zersplitterte Rebellengruppen, die eine direkte Überlandfahrt verhindern. Daher ging es für uns zunächst mit einem Inlandsflug in die Stadt Jimma und von dort mit dem Auto 120 Kilometer über holprige Buckelpisten, bis wir in der Projektregion ankamen. Auch hier galt es, zumindest Nachtfahrten strikt zu vermeiden, um vereinzelten Rebellengruppen aus dem Weg zu gehen. Immer wieder gibt es auf der Strecke Checkpoints, die von der Regierung, aber teils auch anderen Gruppen, kontrolliert werden.
Auf dem Weg nach Nono Benja wurde uns von der lokalen Bevölkerung immer wieder „China“ zugerufen, was für mich anfänglich nicht nachvollziehbar war. Hier merkt man deutlich die Auswirkungen des gigantischen Seidenstraßenprojekts, das tausende chinesische Arbeiter*innen auch nach Äthiopien gebracht hat, um vermeintlich günstige Infrastruktur zu bauen.
Endlich angekommen in Nono Benja konnte ich in den darauffolgenden Tagen einen Einblick in die von MfM angestoßenen, fünf integrierten Maßnahmen erhalten und genauer erfahren, was bereits erfolgreich läuft und wo es noch Schwierigkeiten gibt. Die durchgeführten Maßnahmen beinhalten eine Kombination aus nachhaltiger Landwirtschaft, Wasserversorgung & Hygiene, Gesundheit, Bildung und einkommenssteigernden Initiativen.
Integrierter Ansatz für eine bessere Zukunft
Die Verzahnung dieser fünf Bereiche ist auch der Grund, der uns als Stiftung von der Arbeit von MfM überzeugt. Denn ländliche, in der Regel strukturarme Gebiete im globalen Süden benötigen einen ganzheitlichen Ansatz, in dem verschiedene Teilaspekte übergreifend betrachtet werden, um die Lebenssituation der Menschen langfristig zu verbessern. In Nono Benja, einem Gebiet mit dichter Besiedlung trotz ländlicher Struktur und sehr schwierigen Lebensbedingungen, bedeutet dies erst einmal, die Grundlagen für ein selbstbestimmtes Leben zu schaffen. Dazu gehören Aktivitäten wie die Erschließung und Instandhaltung sauberer Wasserstellen, das Vermitteln von ertragreicheren und zugleich ressourcenschonenden, umweltfreundlichen Anbaumethoden sowie der Aufbau einer Gesundheits-Infrastruktur durch den Betrieb von mehreren Krankenstationen und die Ausbildung von Pfleger*innen. Damit erhält die lokale Bevölkerung erstmals Zugang zu einer medizinischen Grundversorgung, denn das nächste Krankenhaus ist über zwei Autostunden entfernt.
Zudem verfolgt MfM von Anfang an eine klare Exit-Strategie. Anders als bei vielen traditionellen Entwicklungshilfeprojekten, die mehr und neue Abhängigkeiten schaffen, zieht sich MfM nach einem angemessenen Zeitraum von 12-15 Jahren aus einem Projektgebiet zurück. Die Umsetzung aller Maßnahmen wird an die lokale Bevölkerung, die Gemeinde und den Staat übergeben, die alle von Beginn an in das Projektdesign und die Durchführung der Maßnahmen eingebunden sind und sich zur Weiterführung derselben verpflichten.
Nachhaltige Landwirtschaft
Ein gutes Beispiel hierfür ist die von MfM betriebene Förderung der Agroforstwirtschaft – einer Anbaumethode, bei der das Anpflanzen von Obstbäumen und Gemüse effektiv miteinander kombiniert wird und die gänzlich ohne chemische Pestizide und Dünger auskommt. Anstatt auf Monokulturen und den Einsatz teurer Chemikalien zu setzen, die Bäuer*innen und deren Familien bei einer Missernte die Lebensgrundlage entziehen, wachsen nun schattenspendende Bäume zusammen mit verschiedenen Sträuchern und Gemüsesorten auf den Feldern. Die Bäume reichern den Boden mit Nährstoffen an und verhindern seine Erosion. Zudem verbessern sie das Mikroklima auf den Flächen, wodurch zum Beispiel Hitzewellen weniger starke Auswirkungen haben.
Der Fokus liegt dabei u.a. auf dem Anbau von Kaffee, Papayas und Avocados, deren Saatgut von MfM nach dem Training zur Agroforstwirtschaft kostenlos verteilt wird. Diese Pflanzen müssen nur einmal angebaut werden und werfen nach einiger Zeit regelmäßig Früchte ab, ohne dass jedes Jahr neu ausgesät werden muss. So wird die Lebensgrundlage der Bäuer*innen diversifiziert und die Fruchtbarkeit der Böden langfristig sichergestellt, als auch die zu erwartenden Auswirkungen des Klimawandels frühzeitig adressiert.
Zusammengenommen führt dies zu einem sichereren, besser planbaren und höheren Einkommen für die Bäuer*innen. Damit haben sie mehr Geld in der Hand, um dringende Arbeiten am Haus zu erledigen, wie beispielsweise ein neues, regenfestes Dach zu installieren, Kochstellen außerhalb des Hauses zu errichten, oder die Bildung ihrer Kinder zu finanzieren.
Doch zunächst müssen die Menschen davon überzeugt werden, eine für sie unbekannte Anbaupraxis zu übernehmen. Da die Existenz der lokalen Bevölkerung gänzlich von der Landwirtschaft abhängt, ist es kein leichtes Unterfangen, jahrzehntelange Praktiken und Gewissheiten verändern zu wollen. MfM erreicht dies, indem die Organisation zunächst gezielt mit ausgewählten „mutigen Modellbäuer*innen“ zusammenarbeitet, die eine Vorreiterrolle einnehmen. Diese erhalten zunächst ein intensives Training und weitreichende Unterstützung. Durch die bald sichtbar werdenden Erfolge können sie andere Familien schließlich davon überzeugen, ebenfalls auf die Agroforstwirtschaft umzusteigen. Die Modellbäuer*innen teilen dazu ihre Erfahrungen und ihr Knowhow mit anderen Kleinbäuer*innen, so dass sich der Ansatz in der Region nach und nach weiterverbreitet.
Das funktioniert auch deshalb so gut, da es in Nono Benja noch einen echten „Community Spirit“ gibt, den ich immer wieder beobachten konnte. Die lokale Bevölkerung hält zusammen und unterstützt sich gegenseitig, der Alltag ist geprägt vom gemeinschaftlichen Zusammenleben, bei dem Solidarität und Hilfsbereitschaft allgegenwärtig sind.
Zugang zu Trinkwasser verbessern
Ein weiteres Beispiel für die Nachhaltigkeit der von MfM durchgeführten Maßnahmen ist die Einrichtung von sauberen Wasserstellen. Früher mussten die Frauen bis zu drei Stunden laufen, um an sauberes Wasser zu gelangen. Heute erreichen die Menschen in Nono Benja innerhalb von maximal 30 Gehminuten sauberes Trinkwasser, was dem UN-Standard für „Zugang zu sauberem Wasser“ entspricht.
Oft handelt es sich dabei um natürliche Quellen, die durch Tiere oder Abfälle verunreinigt waren und nun eingezäunt und mit Wasserhähnen versehen wurden. Sie können zum Trinken wie auch zum Waschen und teilweise mit separaten Kabinen zum Duschen genutzt werden. An anderen Stellen werden Tiefenbohrungen durchgeführt und manuelle Pumpen installiert, über die das Wasser an die Oberfläche gelangt. Jede eingerichtete Stelle wird von einem „Wasserkomitee“ gemanagt, das aus Mitgliedern der lokalen Bevölkerung besteht. Das Komitee wird durch Kleinst-Beiträge für die Nutzung der Wasserstellen finanziert, übernimmt die Instandhaltung und Reparaturen der Anlagen und steuert den Bedarf. Auch wenn das noch nicht überall reibungslos funktioniert, ist es ein wichtiger Schritt zur Verwaltung der Ressourcen in lokaler Hand.
Mein Fazit
Die Eindrücke während meines Besuchs in Nono Benja und die intensiven Gespräche vor Ort haben mir gezeigt, dass die angegangenen Maßnahmen das Leben der Menschen bereits verbessert haben. Auch wenn es für mich zum Beispiel im Bereich der Bildung Optimierungsbedarf gibt – als Stiftung sehen wir alternative Bildungsformen außerhalb des Schulsystems als zielführender an – ist für mich ersichtlich, dass ganzheitliche, verzahnte Maßnahmen für das Florieren ländlicher Räume unabdingbar sind.
Ein einzigartiges Erlebnis zum Abschluss meiner Reise bildete der Besuch des Timkat Festivals in der Stadt Gondar – ein christlich-orthodox geprägtes Fest mit Prozessionen, Kreuzen und weißen Kostümen, das von mehr als 100.000 Menschen zelebriert wurde. Als einer der wichtigsten Feiertage im Land soll „Timkat“ an die Taufe Jesu durch Johannes den Täufer im Fluss Jordan erinnern. Die Äthiopier*innen feiern dies jedes Jahr mit symbolischen Massentaufen an bedeutsamen Wasserstellen im ganzen Land.