Kindersklaverei auf dem Stausee: Roberts Geschichte
Die Zahl der Kinder, die zur Arbeit gezwungen werden, ist weltweit auf 160 Millionen angestiegen. Die Fortschritte bei der Abschaffung der Kinderarbeit sind damit zum ersten Mal seit über 20 Jahren ins Stocken geraten. Robert (Pseudonym) aus Ghana ist einer von 160 Millionen, deren Kindheit geraubt wurde. Seine Geschichte zeigt, was sich ändern muss – und was wir zusammen mit unserem Projektpartner International Justice Mission (IJM) bewirken.
Als Robert acht Jahre alt war, kam ein Mann namens Kaku (Pseudonym) in das Haus seiner Familie. Er versprach seinen Eltern, sich um den Jungen zu kümmern und ihn in die Schule in der nächsten Stadt zu schicken. Als Gegenleistung sollte Robert ihm ein paar Stunden am Tag beim Fischen helfen.
In Westafrika müssen viele Kinder arbeiten, weil ihre Familien auf den zusätzlichen Lohn angewiesen sind. Es ist daher in vielen Regionen nicht ungewöhnlich, dass Kinder neben der Schule arbeiten oder auf dem Hof der Familie helfen. So kam Roberts Familie, die sehr arm war, Kakus Angebot auch nicht verdächtig vor.
Doch Robert merkte schnell, dass Kaku gelogen hatte. „Ich war sehr unglücklich, als ich merkte, dass ich nicht in der Schule eingeschrieben wurde, sondern den ganzen Tag auf dem See arbeiten musste,“ sagt er.
Lebensgefährliche Arbeit auf dem Volta-Stausee
Roberts Enttäuschung schlug bald in Angst um. Anfangs konnte er nicht schwimmen. Kaku ließ ihn ins Wasser fallen und zwang ihn, sich über Wasser zu halten. Fast wäre er ertrunken. Wenn sich ein Fischernetz verhedderte, musste einer der vielen Jungen, die für Kaku arbeiteten, ins Wasser springen, um es zu entwirren. „Das erste Mal, als ich tauchen musste, um das Netz zu entwirren, hatte ich keine Angst,“ erzählt Robert. „Aber mit der Zeit bekam ich Angst, weil ich mitbekommen hatte, wie andere Kinder dabei starben.“
Trotz der gefährlichen Bedingungen auf dem Volta-Stausee, auf dem Tausende Kinder fischen müssen, traute sich Robert nicht, sich Kaku zu widersetzen. „Einmal fuhren wir auf den See und ich warf das Netz in das Wasser, weil ich nicht wollte, dass Kaku sah, dass es zerrissen war,“ erinnert er sich. „Doch er sah das Netz und fragte mich, wer es dort hingeworfen hatte.“ Kaku wurde so wütend auf Robert, dass er ein Messer nach dem Jungen warf. Dieser konnte zum Glück schnell ausweichen, sodass es nicht seinen Kopf, sondern das Boot traf.
Endlich wieder frei und in der Schule
Im April 2021 wurde Robert zusammen mit 21 Jungen und zwei Mädchen von der Polizei und Mitarbeitenden von IJM befreit. Sie alle waren wie Robert von zu Hause verschleppt und brutal zur Arbeit gezwungen worden. IJM kümmerte sich anschließend um die Nachsorge der Kinder mit speziell geschulten Sozialarbeiter*innen, die ihnen halfen, mit dem Erlebten umzugehen, wieder zur Schule zu gehen, Zeit zum Spielen zu haben – und wenn möglich wieder nach Hause zurückzukehren. Dabei ist es wichtig, dass die Eltern über die Problematik von ausbeuterischer Kinderarbeit aufgeklärt werden, damit die Kinder nicht erneut dieses Schicksal erleiden.
Heute freut sich Robert, zur Schule zu gehen. Er liebt es, Fußball zu spielen und kann sich vorstellen, später Lehrer zu werden. „Kinder sollten nicht auf dem See arbeiten. Sie sollten in die Schule gehen, damit sie eine Ausbildung erhalten und ihre Zukunftsträume verwirklichen können,“ sagt er.
Rechtssysteme stärken und Kinder schützen
Die Ausbeutung von Kindern auf dem Volta-Stausee ist nur einer von vielen Fällen. 78 Prozent der arbeitenden Kinder in Ghana sind in der Landwirtschaft beschäftigt, viele von ihnen werden gewaltsam ausgebeutet. Das heißt, sie dürfen nicht zur Schule gehen, leiden häufig Hunger, leben nicht zu Hause und werden brutal festgehalten. Wie in Roberts Fall versprechen Täter*innen den Familien in Armut eine für sie wichtige Unterstützung in der Versorgung und Bildung ihrer Kinder.
IJM arbeitet seit über acht Jahren mit der Regierung und den lokalen Behörden zusammen, um betroffene Kinder auf dem Volta-Stausee zu finden und Täter*innen strafrechtlich zu verfolgen. Zum Beispiel wurden auf Initiative von IJM 40 Seepolizist*innen in Ermittlungsmethoden und der Erstbetreuung von betroffenen Kindern geschult. Zehn von ihnen wurden für eine Eliteeinheit der Seepolizei weitergebildet – die erste Polizeipatrouille auf dem Volta-Stausee überhaupt. Zwar gibt es in den Städten rund um den See Polizeistationen, doch viele Regionen am Ufer und auf den zahlreichen Inseln des Sees sind von direkter polizeilicher Hilfe abgeschnitten. Die Seepolizei erhöht den Schutz für Kinder durch Ermittlungen sowie durch Drohneneinsätze und direkte Befreiungen auf See.
Das ist ein wichtiger Schritt zur Stärkung der ghanaischen Strafverfolgung von Täter*innen. Denn wenn diese unerkannt bleiben oder nicht zur Verantwortung gezogen werden, geht die Ausbeutung von Kindern ungehindert weiter. Deshalb stärkt IJM in der Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren das Rechtssystem, unterstützt Ermittlungen und die Justiz, sodass bestehendes Recht durchgesetzt wird und Kinder vor Ausbeutung geschützt werden. Diese Arbeit hat Strahlkraft auch in andere Regionen und Branchen, in denen Kinder ausgebeutet werden.