Umweltschutz & Gemeindeentwicklung im Einklang – Patrick Knodel unterwegs in Marokko
Können Umweltschutz und der Erhalt von Biodiversität mit lokaler sozioökonomischer Entwicklung in Einklang gebracht werden? Häufig gelten diese beiden Ziele als unvereinbar. Entweder schützen wir die Natur oder wir helfen der lokalen Bevölkerung, neue Lebenschancen zu ergreifen – leider oft auf Kosten der Umwelt und unter Ausbeutung natürlicher Ressourcen. Dass es auch anders geht, habe ich beim Besuch unserer Partnerorganisationen Global Diversity Foundation (GDF) und Moroccan Biodiversity and Livelihoods Association (MBLA) erlebt.
Nach der Ankunft in Marrakesch brach ich gemeinsam mit meinem Kollegen Christoph sowie Tasnim Elboute von unserem Projektpartner GDF sogleich ins Atlasgebirge auf, dessen Ausläufer das Panorama der beliebten Touristenstadt prägen. Auf der Fahrt konnten wir noch immer die Auswirkungen des gewaltigen Erdbebens vom September letzten Jahres sehen, obwohl wir relativ weit vom Epizentrum entfernt waren. Gesperrte Straßen und riesige Felsbrocken zeugten von der ungeheuren Gewalt dieser Naturkatastrophe, die Tausende von Toten forderte. Umso beeindruckender war es zu sehen, wie beherzt die Menschen vor Ort mit dieser Katastrophe umgehen und voller Tatendrang sind, ihre Gemeinden wieder aufzubauen und widerstandsfähiger zu machen.
Nach etwa anderthalb Stunden Autofahrt erreichten wir unser erstes Ziel: den ökologischen Lerngarten Dar Taliba im malerischen Ourika-Tal, benannt nach dem Fluss Ourika, der im Hohen Atlas entspringt und Richtung Marrakesch fließt. In diesem Tal befindet sich ein Mädcheninternat für Schülerinnen aus den umliegenden Bergdörfern. Werktags lernen und wohnen sie im Internat und am Wochenende sowie in den gerade begonnenen Ferien kehren sie zurück in ihre Dörfer.
Auf dem Gelände des Internats haben unsere Partnerorganisationen einen 6000 m² großen botanischen Garten angelegt, in dem seit 2014 ein praxisorientiertes Umweltbildungsprogramm für die Schülerinnen angeboten wird. Die interaktiven Workshops sollen die Fähigkeiten und Kenntnisse der Mädchen in den Bereichen Pflanzenschutz, Pflanzenverwendung, Permakulturtechniken und der Anwendung traditioneller Naturschutzpraktiken fördern. Die Mädchen helfen bei der Bepflanzung, züchten im Gewächshaus des Gartens Samen, die sie mit ihren Familien und Freunden teilen und ernten frisches Obst und Gemüse, das die Mahlzeiten der rund 130 Schülerinnen und Mitarbeitenden sicherstellt.
Durch die praktische Arbeit in der Natur und das umfangreiche Wissen über ökologische Anbaumethoden entwickeln die Mädchen ein tiefes Wertschätzungsgefühl für das Leben in und mit der Natur. Genau dieses geht in konventionellen Schulumgebungen oft verloren, wo die Natur im Unterricht nicht unmittelbar erlebt wird und nur als externe, ausbeutbare Ressource gezeigt wird.
Lokale Kooperativen vereinen Naturschutz und Gemeindeentwicklung
Nach dem Besuch des Gemeinschaftsgartens und einem stärkenden Mittagessen mit lokalen Erzeugnissen aus dem Garten machten wir uns auf den Weg in das höher gelegene Dorf Oukaimden. Auf 2700 Metern Höhe war ich überrascht, Skipisten und Skiresorts zu sehen, die bisher eine wichtige Einnahmequelle für die lokale Bevölkerung waren. Doch mit den Auswirkungen des Klimawandels fällt auch in den Bergen Nordafrikas immer weniger Schnee, und die Touristen bleiben aus. Umso wichtiger ist die Arbeit unserer Partnerorganisationen vor Ort, die neue Zukunftsperspektiven für die Menschen in der Umgebung von Oukaimden schaffen.
Konkret wird dies durch die Unterstützung zahlreicher lokaler Kooperativen ermöglicht. Kürzlich eingeführte Änderungen im marokkanischen Recht haben vor allem Frauen geholfen, sich in ländlichen Gebieten wie Oukaimden zu Kooperativen zusammenzuschließen. Das von uns geförderte Sustainable Livelihoods Programm von GDF und MBLA arbeitet derzeit mit 67 Kooperativen im Atlasgebirge zusammen. Rund 5000 Haushalte in der Region sollen befähigt werden, ihre Schutzpraktiken für die Natur zu verbessern, eine gerechte Ressourcenverteilung zu gewährleisten und das Haushaltseinkommen der lokalen Bevölkerung zu erhöhen.
Durch gezielte Trainings und Zertifizierungen werden die Kooperativen – von denen 62 Prozent frauengeführt sind – in folgenden Bereichen gestärkt:
- Lebensmittelsicherheit
- Entwicklung neuer, nachhaltiger Produkte
- Marktanalyse
- Entwicklung einer Markenidentität
- Projektmanagement
- Personalmanagement
- Konfliktlösungsmechanismen
Das Programm verbessert zudem den Zugang der Kooperativen zu wichtigen Informationen und Dienstleistungen durch:
- Entwicklung eines Open-Source-Handbuchs in arabischer Sprache
- Präsentation von Kooperativen und ihren Geschichten im Internet
- Marketing-Unterstützung, wie zum Beispiel die Entwicklung visueller Identitäten und innovativer Verpackungsdesigns
- Gewährung finanzieller Zuschüsse für die Markenregistrierung und Genehmigungen für Lebensmittelsicherheit
- Organisation des „High Atlas Food Market“ in Marrakesch, der lokale Produzenten mit städtischen Konsumenten zusammenbringt
Ein konkretes Beispiel hierfür ist die Kooperative „Doutmaquite“. Diese Kooperative stellt Naturkosmetika auf Basis von Pflanzen wie Lavendel her, darunter Shampoos sowie Körper- und Gesichtspflegeprodukte. In Zusammenarbeit mit unseren Partnerorganisationen haben die Mitglieder der Kooperative herausgefunden, welche einheimischen Pflanzen sie zu welchen Produkten mit welchem Mehrwert verarbeiten können. Die Setzlinge und Pflanzen können sie dabei direkt aus der Saatgutbank der von unseren Partnern errichteten Gärtnerei in Oukaimden beziehen. Darüber hinaus konnte die Kooperative mit Hilfe des Förderprogramms einen umfassenden Marketingplan inklusive Branding und Verpackungsdesign erstellen.
Die Gärtnerei schützt wilde Pflanzen, fördert nachhaltige Anbaupraktiken und steht allen Gemeindemitgliedern offen. Ihre landwirtschaftlichen Terrassen werden mit einem Tropfsystem bewässert, um Wasser zu sparen. Derzeit werden dort 26 einheimische, gefährdete und nützliche Pflanzenarten angebaut, darunter Thymian und Lavendel.
Die Gärtnerei trägt nicht nur zum Schutz der regionalen Biodiversität bei, sondern fördert durch zahlreiche Veranstaltungen und Workshops auch das Bewusstsein für die Umwelt und die Region als ökotouristisches Ziel. Zur weiteren Unterstützung dieses Ziels wird gegenüber der Gärtnerei gerade ein ökologisches Museum aufgebaut.
All diese Maßnahmen zeigen uns praktische Wege auf, wie wir gemeinsam zukunftsfähige Lebensräume gestalten können – im Atlasgebirge und weltweit.
Inspirierende Changemaker aus aller Welt
Genau dieses Ziel haben sich auch die 31 Fellows aus 19 Ländern des von unserem Partner GDF durchgeführten „Conservation and Communities Fellowship“ (CCF) Programms gesetzt. Das Fellowship stärkt die Fähigkeiten, Führungsqualitäten und Netzwerke von Entscheidungsträgern in Organisationen des Globalen Südens, die an der Schnittstelle zwischen dem Erhalt biologischer Vielfalt und dem Aufbau nachhaltiger Lebensgrundlagen für benachteiligte Menschen arbeiten. Das CCF hilft den Teilnehmenden, Mittel für ihre Projekte und Programme zu beschaffen, diese erfolgreich umzusetzen, ihre Wirkung zu messen und eine unterstützende Peer-Learning- und Mentorengemeinschaft aufzubauen.
Nach dem Projektbesuch in Oukaimeden hatte ich das Glück, zwei Tage mit den Fellows zu verbringen, die als Höhepunkt des überwiegend online geführten Fellowship-Programms in Marokko zusammenkamen. Ihre Arbeit und inspirierenden Geschichten umspannen Kontinente – von Brasilien über Kenia, Indien bis Samoa.
Beispielsweise setzt sich Andrea aus Bolivien in enger Zusammenarbeit mit den lokalen Gemeinschaften für den Schutz der Andenbären ein; Kanto aus Madagaskar bewahrt Mangroven- und Trockenwälder und schafft gleichzeitig nachhaltige Lebensgrundlagen für die lokale Bevölkerung; Bharathidasan kümmert sich in seiner südindischen Heimat um den Schutz der vom Aussterben bedrohten Geier; Tresia aus Indonesien setzt sich unermüdlich für den Erhalt des vom Aussterben bedrohten Sulawesi-Schopfmakaken ein, der in der Region als „Yaki“ bekannt ist.
Diese inspirierenden Beispiele zeigen, wie Changemaker weltweit trotz großer Herausforderungen eine bemerkenswerte Arbeit leisten. Gerade kleinere Non-Profit-Organisationen haben es extrem schwer, langfristige Finanzierungen zum Überleben – geschweige denn zu ihrem Wachstum – zu sichern. Die Gründer und Führungsteams dieser Organisationen sind oft überlastet und kämpfen mit mentalem Stress und Burnout. Zudem stehen sie oft mächtigen Interessen gegenüber, besonders im Bereich des Umweltschutzes.
In einem offenen und ehrlichen Austausch mit den Fellows wurde deutlich, dass wir als Stiftung bereits Vieles richtig machen, um kleineren, lokalen Organisationen den Zugang zu finanzieller Unterstützung zu ermöglichen und Hierarchien zwischen „Geldgeber“ und „Empfänger“ so weit wie möglich zu minimieren.
Gleichzeitig habe ich gelernt, dass wir damit leider noch immer die Ausnahme sind. Die meisten, insbesondere größere Stiftungen im globalen Norden, machen es kleineren, lokal verwurzelten Organisationen im globalen Süden oft unmöglich, Fördermittel zu erhalten. Hier wollen wir als Stiftung den Dialog mit anderen Geldgebern suchen und Initiativen entwickeln, die diese Kluft Stück für Stück verkleinern. Denn es sind gerade die kleineren, innovativen und lokal verwurzelten Organisationen, die echte und nachhaltige Verbesserungen in enger Abstimmung mit der einheimischen Bevölkerung bewirken. Deshalb ist die Förderung genau solcher Organisationen ein Schwerpunkt unserer Stiftungsarbeit.
Wissenschaftliche und indigene Perspektiven zum Umgang mit der Natur
Den spannenden Abschluss einer vielseitigen Projektreise bildete die Teilnahme am internationalen Kongress der International Society of Ethnobiology (ISE) in Marrakesch, der von unseren Partnern mitorganisiert wurde. Hier kamen Akademiker, Aktivisten und Vertreter indigener Völker aus aller Welt zusammen, um voneinander zu lernen und sich über die dynamischen Beziehungen zwischen Mensch und Natur auszutauschen.
In einem Panel zum Thema „Just Transformations“ diskutierte ich mit weiteren Teilnehmenden über die Aufgabe von Stiftungen und Non-Profits aus dem globalen Norden – oder, besser gesagt, den „umweltverschmutzenden Ländern“ – wenn es darum geht, die Menschen in den weniger umweltbelastenden Ländern des globalen Südens in Zeiten der Klimakrise zu unterstützen.
Dabei ist eines klar: Wie ich durch meine Reise ins Atlasgebirge aus erster Hand sehen konnte, gibt es viele innovative Wege, benachteiligten Menschen neue Zukunftschancen zu ermöglichen und gleichzeitig Natur und Tiere zu schützen. Diese Lösungen kommen nicht aus dem globalen Norden, sondern werden von lokal verwurzelten Organisationen und Changemakern unter Führung der lokalen Bevölkerung entwickelt und umgesetzt. Genau diese gilt es zu unterstützen – so wie wir es mit unserer Förderung im Atlasgebirge bereits erfolgreich vormachen.
Bilder: Salaheddine El Bouaaichi