Denken und Handeln in Ökosystemen: Patrick Knodels Projektreise in Südasien
Zehn Tage lang war ich in Sri Lanka und Indien unterwegs, um mit unseren Förderpartnern zu sprechen, mich mit der lokalen Bevölkerung auszutauschen und mehr über die lokalen Gegebenheiten, Herausforderungen vor Ort und die positive Wirkung unserer Stiftungsarbeit zu lernen.
Dabei habe ich immer wieder eines festgestellt: Ganzheitliches Denken und Handeln ist der wichtigste Hebel, um nachhaltige und wirksame Veränderungen zu erreichen. Dies gilt für alle übergreifenden Bereiche, in denen unsere Förderpartner in Südasien tätig sind – egal ob es um Bildung, gemeinwohlorientiertes Wirtschaften, ein selbstbestimmtes Leben für alle oder zukunftsfähige Lebensräume geht.
Ein perfektes Beispiel hierfür ist die DreamSpace Academy in Batticaloa an der wunderschönen Ostküste Sri Lankas. Die ChanceMaker Foundation unterstützt die von der Organisation entwickelte „Lifecycle-Initiative,“ ein personalisiertes, jeweils 18-Monate langes Empowerment-Programm, das darauf abzielt, die nächste Generation von lokalen Changemakern zu fördern und innovative soziale und ökologische Impact-Unternehmen in ganz Sri Lanka aufzubauen.
Das Programm selbst ist erfrischend transdisziplinär aufgestellt und durchbricht konventionelle Denk- und Lernmuster. Alle Teilnehmenden durchlaufen zunächst Trainings und Workshops an verschiedenen „Lern-Laboren.“ Diese reichen vom „Media Lab,“ an dem alles von Fotografie, dem Konzipieren, Drehen und Bearbeiten von Videos, visueller Gestaltung und Social Media Marketing erlernt werden kann, bis zum Labor für Biotechnologie, an dem neue, bahnbrechende Forschungen zum Lösen von ökologischen Problemen durchgeführt werden. Die vorhandene Ausstattung und Forschungsmöglichkeiten am Bio-Labor übersteigen dabei sogar oft die Möglichkeiten und Fähigkeiten der meisten Hochschulen im Land und bieten ein einzigartiges Umfeld und vielversprechende Chancen für die lokale Bevölkerung.
Weitere „Learning Labs“ ermöglichen den Teilnehmenden den Erwerb neuer Fähigkeiten in Bereichen wie Softwareentwicklung & IT, Mechanik, Elektronik, oder auch Musikproduktion und Meeresforschung. Auf dieser Grundlage spezialisieren sich die Lernenden daraufhin in einem oder mehreren Feldern und arbeiten zusammen mit den jeweiligen Lernlaboren sowie Mentoren und Mentorinnen aus der ganzen Welt. Dem Prinzip des von der DreamSpace Academy entwickelten „Challenge-based Learning“ Modells folgend gründen die Programmteilnehmenden schließlich ihr eigenes Impact-Unternehmen, um drängende soziale und ökologische Probleme zu lösen.
Während meines Aufenthalts konnte ich mit einigen ehemaligen Teilnehmenden sprechen und einen Teil der neuen, von der ChanceMaker Foundation geförderten Kohorte kennenlernen. Der Großteil der Teilnehmenden stammt aus Batticaloa und Mullaitivu, zwei Distrikten, die noch immer die Auswirkungen des 2009 zu Ende gegangenen Bürgerkriegs spüren. Ein kürzlich veröffentlichter Bericht des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) zeigt etwa, dass mehr als 65 % der Bevölkerung in Batticaloa und Mullaitivu „multidimensional gefährdet“ sind, insbesondere in Bereichen wie Bildung, Gesundheit, Katastrophenvorsorge und allgemeinen Lebensstandards.
Aus diesem Grund verfolgt die DreamSpace Academy das Ziel, ein sich selbst tragendes Ökosystem für Changemaker, Erfinder, Sozialunternehmer und Problemlöser aufzubauen. Dies schafft eine einzigartige Innovationszone im noch immer von der Landespolitik vernachlässigten Osten Sri Lankas. Diese Zone eröffnet vor allem jungen Menschen neue Chancen und Perspektiven und packt die zugrunde liegenden sozio-ökonomischen und ökologischen Probleme an der Wurzel.
Um ihre Vision zu verwirklichen, verfolgt die DreamSpace Academy einen ganzheitlichen Ansatz, der neben dem Lifecycle-Programm eine ganze Reihe andere Initiativen und Programme umfasst, um möglichst viele Menschen auf verschiedenen Ebenen zu erreichen. So können die Lernlabore auch jederzeit von der lokalen Bevölkerung genutzt werden. Frei zugängliche Workshops und Trainings helfen den Menschen dabei, sich weiter zu qualifizieren und neue, gefragte Fähigkeiten zu erwerben.
Aufstrebenden Unternehmern und Start-up-Gründern bietet die DreamSpace Academy eine Plattform für Forschung & Entwicklung. Sie berät sie beim Aufbau und der Erweiterung ihrer Geschäftsmodelle und unterstützt sie bei der Sicherung von Anlauffinanzierungen. Einige der von der DreamSpace geförderten Unternehmer und Unternehmerinnen konnte ich bei meinem Besuch in Batticaloa vor Ort treffen.
Roshan Patrick, der Gründer von „Mahaa Industries,“ produziert Bio-Kokosnussöl und verarbeitet die Kokosnussschalen, die sozusagen als Ausschuss bei der Produktion abfallen, zu Kokoskohle – eine nachhaltige und gesunde Alternative zur Holzkohle. Gokiladevi Ranjithkumar, die Gründerin von „Naga Pasumai,“ arbeitet mit Kleinbauern und Kleinbäuerinnen aus der Region zusammen, um gesunde Gewürzmischungen herzustellen, die sie vermarket und verkauft.
Jayanthan Amalanathan gründete das Startup „SPM Enterprise,“ das innovative technologische Lösungen in den Bereichen Software, Mechanik, Elektronik und Business Development entwickelt. Die erzielten Einnahmen werden von Jayanthan und seinem Team unter anderem in umweltfreundliche Initiativen investiert, insbesondere im Bereich Recycling.
Als Partner von lokalen, oft unterfinanzierten Schulen organisiert die DreamSpace Academy zudem regelmäßige Innovationsworkshops. Diese ermöglichen benachteiligten Kindern und Jugendlichen einen vertieften Zugang zu STEAM-Fächern (Science, Technology, Engineering, Arts, Maths) und fördern ihren Erfindergeist bereits im frühen Alter. Während meines Besuchs hatte ich die Gelegenheit, einen dieser Workshops an einer öffentlichen Schule zu besuchen.
Dabei zeigte sich, dass die Schule zwar über zahlreiche Computer verfügt, die von einer Hilfsorganisation gespendet wurden, diese allerdings nicht effektiv nutzen kann: Einerseits kann sich die Schule die monatlichen Gebühren für den Internetzugang nicht leisten, andererseits sind die Lehrkräfte nicht ausreichend qualifiziert, um weiterführende Fähigkeiten an die Schulkinder zu vermitteln. Aus diesem Grund führt die DreamSpace Academy nicht nur Workshops durch, sondern trainiert auch ausgewählte Lehrer und Schüler, die ihr erworbenes Wissen dann innerhalb der Schule weitergeben können. Das „Training of Trainers“ gewährleistet somit die langfristige Wirksamkeit des Programms.
Die vielen, facettenreichen Initiativen der DreamSpace Academy, die Motivation und Leidenschaft des jungen Teams sowie die Vision, die Ostküste Sri Lankas zu einem Innovations-Hub zu entwickeln, haben mich sehr beeindruckt. Durch die wirkungsvolle Arbeit der Organisation werden benachteiligte Menschen zu Changemakern für eine bessere, zukunftsfähige Welt – genau das, was wir als Stiftung anstreben.
Auch der nächste Stopp auf meiner Projektreise verdeutlichte erneut, dass benachteiligte Menschen eigenverantwortlich handeln und eine nachhaltige Zukunft für sich, ihre Familien und ihre Heimat schaffen können. In den Sundarbans, dem größten Mangrovenwald der Erde, etwa zwei Stunden Autofahrt von der indischen Megametropole Kalkutta entfernt, traf ich Kleinbäuerinnen, die mit unserem Förderpartner „amar khamar“ („meine Farm“) zusammenarbeiten.
Wie in ganz Indien wurde auch dort mit tatkräftiger Unterstützung der Entwicklungshilfe-Industrie der Einsatz von chemischen Pestiziden und Düngemitteln sowie genetisch modifizierten Saatguts systematisch beworben und erzwungen. Dies führte zu einer im wahrsten Sinne des Wortes tödlichen Spirale: Die stetige Verschlechterung der Bodengesundheit und zunehmende Resistenz von Pflanzen gegen chemische Mittel zwangen die Bauern zu eiem immer intensiveren Einsatz von ebendiesen chemischen Mitteln und modifizierten Saatgut (was für die herstellenden Firmen gleichbedeutend mit mehr Umsatz ist). Gesundheitsschäden durch das Versprühen der giftigen Mittel ohne ausreichenden Schutz als auch durch den Verzehr der Produkte waren und sind dabei ein von der Entwicklungsindustrie in Kauf genommener „Nebeneffekt.“ Gleichzeitig führte die „Grüne Revolution“ bei niedrigerer Produktivität und Ernteausfällen aufgrund von Dürre oder Naturkatastrophen zu steigenden Schulden und dem tragischen Suizid von 400.000 Bauern in Indien zwischen 1995 und 2018 – das entspricht etwa 48 Selbstmorden pro Tag.
Auch heute noch ist die Verzweiflung besonders unter Kleinbauern und-bäuerinnen groß, wenn sie keine Alternative zur Schuldenfalle der „Grünen Revolution“ haben. Gerade deshalb ist es so immens wichtig, dass es Sozialunternehmen wie amar khamar gibt.
Ziel unseres Partners ist es, so vielen Kleinbauern wie möglich den Umstieg auf umweltfreundlichen Bio-Anbau zu ermöglichen. Um dies zu erreichen, werden den vor allem weiblichen Bauern Trainings und Workshops angeboten, die von „Modell-Bäuerinnen,“ die bereits auf den Bioanbau umgestiegen sind, geleitet werden und bei ihnen auf den Feldern stattfinden. Dieses „Peer to Peer Learning“ ist äußerst effektiv und schafft ein sich ständig erweiterndes Netzwerk.
Amar khamar unterstützt auch den Aufbau lokaler Saatgutzentren und Pflanzenschulen, um indigenes Saatgut an die Bauern zu verteilen. Dieses lokale Saatgut, das durch die Grüne Revolution verdrängt wurde, ist besser an die lokale Umwelt und die Auswirkungen des Klimawandels angepasst und kommt ohne den Einsatz chemischer Mittel aus. Angewandte Forschung in Zusammenarbeit mit den Kleinbäuerinnen auf ausgewählten Feldern bezüglich der Produktivität verschiedener Saatgutsorten und umweltfreundlicher Techniken ist ebenfalls Teil der Arbeit.
Das anfängliche Training und die Bereitstellung von lokalem Saatgut sind jedoch nur ein Teil des ganzheitlichen Ansatzes von amar khamar – auch hier zeigt sich wieder, wie wichtig es ist, ganzheitlich zu denken und zu handeln. Denn gleichwohl bedeutet ökologische Landwirtschaft auch eine intensivere Arbeit, wofür die Bauern dementsprechend kompensiert werden müssen, um Bioananbau langfristig und nachhaltig betreiben zu können.
So befähigt amar khamar die Bäuerinnen, möglichst effektiv – das heißt, saisonal und divers – zu produzieren, indem sie auf mehrere Reissorten und andere Produkte wie Honig und Gewürze setzen. Außerdem werden Trainings zur lokalen Weiterverarbeitung der Erzeugnisse angeboten. Dadurch entstehen zum Beispiel aus Reis verschiedene Produkte wie Reismehl, gepuffter, vorgegarter oder geplätteter Reis, für das die Bäuerinnen einen höheren Einkaufspreis erzielen.
Amar khamar bietet den Bäuerinnen zudem eine Abnahmegarantie, bindet sie jedoch nicht exklusiv an das Sozialunternehmen, wodurch ihre Flexibilität erhalten bleibt. Die verschiedenen Produkte werden auf der Website von amar khamar sowie im Ladengeschäft des Unternehmens in Kalkutta an urbane Konsumenten verkauft, die bereit sind, einen etwas höheren Preis für gesunde Bioprodukte zu zahlen, was den Bäuerinnen ebenfalls ein höheres Einkommen verschafft.
Auf diese Weise hat unser Förderpartner ein vollständiges Ökosystem für Bioanbau in Indien geschaffen. Davon profitieren nicht nur die Verbraucher, die einen direkten Zugang zu gesunden Lebensmitteln haben, sondern vor allem auch die Bäuerinnen, wie sie mir selbst berichteten. Sie glauben daran, dass sie und ihre Familien eine Zukunft in der Landwirtschaft und in ihrer Heimat haben.
Derzeit profitieren rund 750 Kleinbauern, von denen 70 % weiblich sind, von der Zusammenarbeit mit amar khamar. Durch sein Geschäftsmodell bewahrt das Sozialunternehmen mittlerweile über 300 indigene Reissorten und trägt somit zum Erhalt lebenswichtiger Biodiversität bei.
Amar khamar und DreamSpace Academy – zwei unterschiedliche Förderpartner der ChanceMaker Foundation, die dennoch viele Gemeinsamkeiten teilen: Durch ihre umfassende und ganzheitliche Herangehensweise in Ökosystemen schaffen sie nachhaltige Strukturen, die nicht nur einzelnen Menschen auf individueller Ebene helfen, sondern auch ganze Gemeinschaften und Regionen langfristig positiv verändern. Auf diese Weise tragen sie entscheidend dazu bei, eine zukunftsfähige Welt sowohl für die Menschen vor Ort als auch für uns alle zu gestalten.