Raus aus der Isolation – ein selbstbestimmtes Leben mit Albinismus

Unser Förderpartner kanthari im südindischen Trivandrum ermöglicht es benachteiligten Menschen aus aller Welt, zu echten Veränderern für eine gerechtere Welt zu werden. Oft haben die Teilnehmenden des kanthari Social Leadership Programms selbst Schlimmes erlebt, Herausforderungen überwunden und soziale Ausgrenzung besiegt. Mit Unterstützung unseres Partners möchten sie den nächsten Schritt gehen und die Probleme, mit denen sie selbst konfrontiert waren, nachhaltig lösen. Ein inspirierendes Beispiel hierfür ist Ifeoluwa aus Nigeria. Hier erzählt sie uns ihre bewegende Geschichte.

“Ich möchte mit anderen Kindern spielen!”
“Nein, das ist nicht richtig!”

“Ich möchte Krankenschwester werden!”
“Nein, das kannst Du nicht!”

Das sind Antworten, die ich mir seit meiner Kindheit wieder und wieder anhören musste. Aber die vermeintlich wirkliche Antwort wieso ich das uns das nicht kann oder tun darf – nämlich, dass ich nicht gesellschaftsfähig sei, da ich anders aussähe, kam nie.

Ich habe wegen meines Aussehens oft viele Tage ununterbrochen drinnen, in einem kleinem Raum verbracht, ohne nach draußen zu gehen. Mit Albinismus in Südwest-Nigeria geboren zu werden, machte mich zur Außenseiterin. “Als ich Dich im Krankenhaus geboren hatte, dachte ich, die Krankenschwestern hätten mein echtes Kind gegen Dich ausgetauscht! Ich konnte mir nicht vorstellen, ein Kind wie Dich zu haben! Ich hatte Angst, Dich zu berühren und Dich zu stillen,” sagte meine Mutter. Aber trotz ihres fehlenden Wissens über Albinismus akzeptierte sie mich als ihr geliebtes Baby, auch als jeder andere seine eigene Meinung zu mir zum Besten gab.

Während meiner Kindheit musste ich mir immer wieder die gleichen Kommentare anhören. Viele machten verletzende Bemerkungen über meine Mutter. Sie beschuldigten sie der Untreue oder des Diebstahls. Einige glaubten sogar, Gott habe sie bestraft für ihre früheren Sünden. Meine Mutter ertrug diese Anschuldigungen klaglos. Sie opferte alles, um mich zu schützen.

Nachdem mein Vater uns verlassen hatte, war es für sie sehr schwierig, sich um uns Kinder zu kümmern. Ich hatte immer das Gefühl, dass ich einer der Gründe war, warum alles in die Binsen ging.

Meine Geschwister zogen bald aus und lebten fortan bei anderen Verwandten. Es gab Situationen, in denen die Leute meine Mutter aufforderten, meine Haare oder meine Nägel abzuschneiden, um sie als Talisman zu verkaufen, oder auch, mich gleich ganz wegzugeben. In Nigeria erfuhr man aus den Medien, dass Menschen mit Albinismus Geister seien und besondere Kräfte hätten und dass ihre Körperteile anderen Glück bringen würden. Das alles machte meiner Mutter große Angst. Sie reagierte darauf, indem sie mich praktisch einschloss, mich für lange Zeit von allen Kindern fern hielt und ich so erst sehr spät in die Schule kam – immer in dem Glauben, dass dies das Beste für mich sei. Deshalb begann ich die Grundschule viel zu spät, erst im Alter von neun Jahren, im Gegensatz zu meinen anderen Geschwistern.

Als ich schließlich zur Schule ging, hatte ich eine Lehrerin, die offen ausdrückte, wie gruselig sie mich fand. Mitschüler nannten mich verschiedene Namen wie „Afin Boro“ (weißes Gespenst), sie versteckten meine Sachen und ließen mich vor allen danach suchen. Sie zwangen mich sogar zu tanzen, während sie hämische Lieder über mich sangen. Ich war sehr traurig. Meine Mutter war in dieser Zeit meine Trostquelle. Sie nahm mich in den Arm, half mir bei den Hausaufgaben, erzählte mir Geschichten und sorgte dafür, dass ich lernte, wie man einen Haushalt führt. Es gab nur sie und mich – und dann starb sie!

Ich zog zu meiner Schwester, aber die Situation verschlimmerte sich. Unter dem Vorwand, mich zu schützen und unnötige Fragen von Leuten zu vermeiden, durfte ich das Haus nicht verlassen und musste alle Hausarbeiten erledigen.

Trotz alledem hatte ich niemals einen Hass auf meine Identität entwickelt. Ich mochte mich, wie ich war und wie ich aussah. Manchmal versuchte ich, mit meinen Geschwistern über meine Zukunft zu sprechen. Ich war an Modedesign interessiert, ich wollte Schauspielerin werden und dann hatte ich die Idee, Krankenschwester zu werden. Aber alles, was ich von ihnen hörte, war: “Ist das angemessen für jemanden wie Dich?” Oder “Gehörst Du dorthin?” Und wenn ich weiter nachfragte, bezeichneten sie mich als stur und undankbar. Ich verlor das Interesse, mit meinen Geschwistern zu sprechen.

Im Jahr 2020 erlangte ich meine Freiheit, als die Familie meiner Schwester in die USA auswanderte und ich alleine das Haus hüten sollte. Ich lebte auf und begann, als Freiwillige Menschen mit Behinderungen zu unterstützen.

Ich nahm an Schulungen teil und engagierte mich mehr und mehr in Organisationen für Menschen mit Behinderungen. Eines Tages traf ich jemanden, der mich zu einer Stiftung für Menschen mit Albinismus brachte. Da begegnete ich zum ersten Mal anderen Menschen, die so aussahen wie ich.

Damals wurde mir bewusst, dass viele Kinder mit Albinismus unter ähnlichen Zuständen wie ich großgeworden sind. Manche wurden vollkommen vernachlässigt oder wie ich überbehütet. Viele litten unter Mobbing und andere erfuhren Gewalt. Da die meisten Eltern nicht wirklich aufgeklärt sind, haben sie den Irrglauben über Albinismus verinnerlicht. Und auch Lehrer tun nichts dagegen, dass betroffene Kinder in der Schule diskriminiert werden.

Als Kind habe ich mir oft eine Welt vorgestellt, in der sich alle für Menschen mit Albinismus stark machen und sie gegen Ausgrenzung verteidigen. Als Teilnehmerin des kanthari-Programms für Social Leadership konnte ich zusammen mit einer einzigartigen Gemeinschaft aus der ganzen Welt die entscheidenden Werkzeuge und Fähigkeiten erwerben, um meine eigene Organisation zu gründen, die genau das zum Ziel hat – eine Welt ohne Diskriminierung.

Der Name meiner Organisation, Ìrètíọla, bedeutet „Hoffnung für morgen“. Wir sind eine gemeinnützige Organisation, die in Nigeria mit Kindern und Jugendlichen mit Albinismus zusammenarbeitet. Unser Fokus liegt darauf, Herausforderungen zu bewältigen, Missverständnisse in der Gesellschaft abzubauen und sicherzustellen, dass diese wundervollen jungen Menschen die gleichen Chancen auf ein erfülltes Leben haben wie alle anderen. Ìrètíọla setzt sich dafür ein, das Bewusstsein in der Gesellschaft zu schärfen, das Selbstvertrauen von Kindern mit Albinismus zu stärken und ihnen Ressourcen zur Unterstützung bereitzustellen.

Unser Ìrètíọla-Team besucht Schulen und verwendet Comics und spannende Geschichten, in denen Kinder mit Albinismus die Hauptrollen spielen, um das Thema zu enttabuisieren und andere Perspektiven aufzuzeigen. Wir möchten ein besseres Verständnis für die Erkrankung schaffen und gleichzeitig Vorurteile abbauen. Darüber hinaus besuchen wir Krankenhäuser, insbesondere Mutter-Kind-Stationen, um Eltern über Albinismus aufzuklären.

Durch diese und viele andere Initiativen verändern wir die Denkweise der Menschen über Albinismus. Betroffene sehen sich nicht mehr als alleinige Außenseiter, und die breite Öffentlichkeit versteht, dass Albinismus eine medizinische Ursache hat und kein Fluch ist. Mein Ziel ist es, dass Menschen mit Albinismus nicht mehr diskriminiert werden, selbstbewusst voranschreiten können und ihren eigenen, selbstbestimmten Weg gehen.

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